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Begleittext zum Interview von Marco Serra
Arlesheim ist weit über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus bekannt und seit Jahrzehnten für mehrere Generationen ein Begriff. Ob wir vom Dom sprechen, der Ende des 17. Jahrhunderts gebaut wurde, an die Ermitage denken, dem grössten englischen Landschaftsgarten der Schweiz aus der Mitte des 18. Jahrhunderts oder die vielen Häuser nennen, die im Schweizer Heimatstil gebaut wurden, Arlesheim hat landschaftlich wie architektonisch einen wertvollen Bestand. Erweitert man die Betrachtung nach Dornach, sieht man, dass mit Steiners Antroposophie ein Kulturpaar von gesellschaftlicher Relevanz entsteht, das seinesgleichen sucht.
Diese kulturellen Aspekte stehen in engem Zusammenhang mit den gewerblichen, die den Ort bereichern, entwickeln und beleben. Die Klinik für antroposophische Medizin wäre ohne die Geschichte undenkbar. Der Markt an Naturheilprodukten, getragen von Ita Wegmann und Weleda, wäre inexistent. Winzergeschäft und Fleischhandel leben von der Reputation eines naturnahen Ortes. Die daraus erwachsene Population, die Restauration, die Geschäfte, alle wären anderswo.
Diese Werte sind weder Zufall, noch aus einer Hand realisiert oder innerhalb einer einzigen Zeitphase entstanden. Was den Anschein eines zusammenhängenden Planes gibt, ist in Wirklichkeit ein über Jahrhunderte und Stilepochen langsam entstandener Plan. Was wir vom Arlesheimer Dom heute sehen, ist nicht nur aus seiner Gründerzeit, sondern hundert Jahre später entstanden und eine Massnahme, um die ursprünglich schlechte Bauqualität zu verbessern. Was wir von der Ermitage sehen, ist in Wirklichkeit ein Plan, der Jahrzehnte nach der Entstehung eine Plünderung indstandzustellen versuchte. Und was wir als Kernzone aus der Heimatstilzeit erleben, ist durchsät von neueren Bauten. Diese Beispiele haben gemeinsam, dass Entstehung und Entwicklung gleichwertige Beiträge zum Endresultat beigesteuert haben. Zu keiner Zeit wurde indes eine Strategie des Einfrierens verfolgt, wofür wir heute dankbar sind.
Was nun vor uns liegt, ist die Revision eines Nutzungsplanes. Der aktuelle entspricht nicht mehr den heutigen Bedürfnissen und soll revidiert werden. Soweit scheinen alle einverstanden zu sein. Der Auftrag aus den heutigen Bedürfnissen heisst, gemäss ISOS, dem Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz, das schützenswerte Ortsbild zu erhalten und gemäss BIB, dem Bauinventar des Kantons Basel-Land, Bauten im Ortskern zu schützen. Auch dagegen ist in keiner Form etwas einzuwenden. Im Gegenteil, ISOS und BIB geniessen zu recht breite Unterstützung. Unverständlich ist aber die Unterschutzstellung und Inventarisierung von mehreren Dutzend Liegenschaften.
Dazu Stellen sich zwei Fragen:
Ersatzneubauten sind nur dann möglich, wenn durch ein Fachgutachten nachgewiesen ist, dass das Gebäude nicht zu erhalten, und eine Ersatz¬neubaute bautechnisch und wohnhygienisch erforderlich ist. Zur Beurteilung von Bauvorhaben setzt der Gemeinderat eine Ortskern-kommission als beratende Fachkommission aus auswärtigen und ortsansäs¬sigen Personen ein.
Als Resultat davon, hat die Einschätzung einer Fachperson ergeben, dass mehrere Bauten, es ist die Rede von über 70, integral zu schützen sind. Die heute mögliche, dreistöckige Bebauung, wird mit dem neuen Teilzonenplan generell auf zwei Geschosse beschränkt, was einem Einfrieren des Ortkernes gleichkommt.
Während die Mehrheit der Beteiligten sich über den Wert der Kernzone einig ist, gehen die Meinungen über den Umgang mit wertvollem Baubestand auseinander. Zwei Begriffe sind wiederkehrend, diese sind «Erhalt» und «Ortstypisch». Es ist verständlich, dass angesichts hässlicher Bauten wie die Kantonalbank der Drang besteht, weiterer Graus zu stoppen, denn beides, «Erhalt» und «Ortstypisch» sind schlechtest möglich illustriert. Und solange solche Bauten möglich sind, muss man sich in der Tat überlegen, wie eine gute Qualität der Baukultur möglich wird.
Die neuen Massnahmen hingegen, und im speziellen das Einfrieren der bestehenden Bausubstanz, um zur ersten der beiden Fragen zurückzukommen, sind keine Lösung. Wichtiger als ein neues Regelwerk ist, ein qualitätsvolles Weiterbauen in denkmalpflegerischem Bestand zu ermöglichen. Ein misslungener Bau wie die Kantonalbank sollte nicht dazu animieren, keine Entwicklung mehr zuzulassen, sondern es sollte ermutigen neue, gute Architektur und gutes Handwerk zu verlangen und ein qualitätsvolles Weiterbauen zu fordern und zu fördern.
Bleibt die Frage nach den heutigen Bedürfnissen und damit der Entwicklung von Arlesheim. Die Frage, wie auf die Herausforderungen der Nachhaltigkeit reagiert werden kann, bleibt offen. Die Frage, wie man die Jungen in Arlesheim hält oder nach Arlesheim holt, ist unbeantwortet. Und die Frage, wie das Problem des stetig steigenden Verkehrs und der Parkierung gelöst werden soll, bleibt auch im dunkeln. Arlesheimer Qualitäten, die traditionsnahe und naturnahe Entwicklung von Kultur, Gesellschaft und Gewerbe werden zugunsten einer Strategie der Archivierung verlassen. Für die Zukunft von ganz Arlesheim hingegen ist es fundamental, heutige Bedürfnisse wirklich zu addressieren und entsprechende Entwicklungen zu ermöglichen.
Die Instrumente dafür sind heute schon vorhanden. Zusätzliches Regelwerk und vor allem eine Eindämmung der Entwicklung ist für beide im Raum stehenden Fragen nur hinderlich.
Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, ist in Wirklichkeit ein grosses Potential, welches es wahrzunehmen gilt, will man verhindern, dass die Arlesheimer Kernzone zu einem Museum wird und die Population in die Peripherie verschwindet. Arlesheim hat das in der Vergangenheit bewiesen und so tun es auch andere Quartiere.
Als historisches Gewerbequartier und Ursprung der lokalen Entwicklung hat zum Beispiel das St. Alban Quartier in Basel fundamentale Parallelen zu Arlesheim. Es ist mit einfachen Regeln und Morphologien gebaut, aber zugleich dem modernen Wandel exponiert. Die Kombination der Erhaltung eines denkmalpflegerisch wertvollen Baubestandes mit neuen, heutigen Bedürfnissen, hat das St. Alban Quartier brilliant gelöst. Der Charakter wird nicht kaschiert. Gleichzeitig sind neue, zum Teil sehr grosse Bauten realisiert. Man denke an die Wohnhäuser von Diener & Diener Architekten am Rhein, welche sich mit den differenzierten, rückwärtigen Fassaden hervorragend ins Quartier einbinden, an das Wohnhaus von Michael Alder, welches gleichzeitig den lokalen Massstab sprengt, aber durch seine intelligente Typologie dennoch sensibel in den Kontext eingebettet wurde oder an die Erweiterung der Jugendherberge von Buchner & Bründler, die eine wunderbare Symbiose zwischen alt und neu herstellt. Demgegenüber stehen kleine, eingeschossige, grässliche Betonbauten im Quartier, dessen Autoren besser ungenannt bleiben.
Ob gross oder klein, ob alt oder neu, ob Umbau oder Neubau, der Beweis von gleichzeitiger Dienlichkeit und Schönheit muss immer wieder neu erbracht werden, will man heutige Bedürfnisse mit dem Schutz wertvoller Bausubstanz kombinieren. Dafür muss man die heutigen Bedürnisse ernst nehmen, präzise definieren und eine gute Baukultur sicherstellen. Visionäre Akteure, nicht Regelwerke, sind gefragt.
Marco Serra, 25. Januar 2023 https://www.marcoserra.ch